Vom Backpacking 2.0 Plus Phänomen zu unserem "On-the-Road-Leben".

Angeregt durch ein Facebook-Posting "Has backpacking changed?" (Lonely Planet Blogs auf Facebook), initiiert durch den internationalen Reiseführerverlag Lonely Planet, muß ich mich dieser Frage hier auf meinem Block annehmen.
Die Frage an sich ist eigentlich überflüssig, denn wie alles hat sich natürlich auch das Rucksackreisen im Laufe der letzten Jahre verändert. Vielmehr stellt sich mir die Frage "Was ist Backpacking heute?", genauer "Was kann Backpacking für viele heute sein und werden?".
Es ist eine sehr weitreichende Frage und ich möchte ungern eine Bücherserie darüber publizieren. Dennoch sind mir im Laufe der letzten 7 Monate soviele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu anderen Rucksackreisenden aufgefalllen, dass ich denke, es ist an der Zeit jene zu thematisieren. Ich werde versuchen ohne rückblickende, historische Vergleiche, jammernde "früher-war-alles-besser"-Sentimentalitäten und apokalyptische Zukunftsprognosen, die Spezifika des Backpacking 2.0 Plus heute und deren positive Konsequenzen, im Besonderen für uns, zu skizzieren.
Was zeichnet also diese Spezie Reisender aus und warum?
Über dieses Phänomen habe ich mich - mit vielen Gleichgesinnten, unterwegs - ausgetauscht und mußte oft erschreckt feststellen, dass unsere, von Familie und Freunden in der Heimat so oft bewunderte, Individualität, das gewisse "Freaksein" und unser Wagemut eher der Partizipation an einer Massenbewegung gleicht. Das Aussteigen aus der eigenen Gesellschaft ist nur ein Einsteigen in eine neue, globaler funktionierende, aber nicht weniger organisierte Struktur.
Grundlegende Voraussetzungen und Gemeinsamkeiten organsieren und strukturieren das Leben unterwegs stärker denn je. Wir haben Zeit, und haben wir diese nicht, dann nehmen wir sie uns. Für viele ist es ein Leichtes den Job ein Jahr ruhen zu lassen oder gleich zu kündigen, oder noch viel besser, wie in meinem Falle, erst gar nicht anzufangen. Eine verbindliche oder gesichterte Lebensplanung gibt es kaum eine mehr. Das vereinfacht. Wo keine Felle sind, können auch keine davonschwimmen.
Wir haben Geld. Wir kommen aus dem "reichen" Westen und reisen in billige Länder, vorzugsweise mit Billigfliegern, um dort billig zu leben. Der Markt macht die Preise, und dieser ist riesig geworden. Der abgedroschene Vergleich "wie Pilze aus dem Boden schießen" paßt leider voll und ganz auf die Hostel-, Guesthouse- und Hotellandschaft in den bevorzugten Ländern. Der Reisende als Kunde profitiert. Die Auswahl ist unerschöpflich, die Kosten niedrig.
Hinzu kommt die Verfügbarkeit aller Annehmlichkeiten. Wer eine gewissse, teils nur minimale Flexibilität bei der Verwendung von täglichen Konsumgütern besitzt, dem wird es an kaum etwas mangeln. Ob "Ritterport" und das gute bayerische Bier oder Spaghetti Bolognese; ob "Nivea-Creme" oder "Colgate-Zahnpasta", Bücher zum Tausch in der eigenen Sprache (sofern man nicht aus aus Island kommt ;) und weis der Kuckuck noch was. Die internationalen Marken von zu Hause sind nicht umsonst international.
Vielleicht das Beispiel hierfür ist die Khaosan Road in Bangkok. Alles (und teilweise noch viel mehr) was der Rucksackreisende auf seiner Rucksackreise benötigt ist auf Lager. Ich habe mir einen Internationalen Studentenausweis - gültig bis Ende 2010 - für 2€ austellen lassen. Sieht aus wie mein alter :) Außerdem bin ich jetzt Mitglied in der Internationalen Vereinigung... das würde zu weit führen. Schuhe, Taschen, Reiseequipment aller Art... ach was fang ich jetzt an aufzuzählen; alles wartet zu Spottpreisen auf die hungrigen Massen, die 24/7 zum Mekka der Verfügbarkeit pilgern! Wer noch nicht hat was alle haben, stockt auf. Reiseuniformen und Reisefrisuren, die die Individualität hervorheben, sowie das neueste iTunes-Mobilar und Reiseführer. Im Klartext: weite Baumwollhosen, Muskelshirts, Rastas, endlos mp3s, Filme und Lonely Planet Guidebooks.
Für mich aber die interessanteste, und sicher nicht unwesentlichste, Gemeinsamkeit des 2.0 Plus Backpackers ist auf das Internet zurückzuführen. Das fängt damit an, dass beinahe ein jeder ein Netbook (vorzugsweise von Samsung oder Asus) mit sich rumschleppt. Oft durch ein iPhone erweitert; zumindest irgendein mobiles Telefon wartet auf seinen Benutzer. Ausnahmen bestätigen die Regel, das weis ein jeder, und zu dieser Subgruppe der Exoten zählen auch wir. Ein bisschen Freiheit in der Freiheit muß erlaubt sein; im Notfall lässt sich jede Telefonnummer auf der Welt ja über Skype anrufen. Verbundensein mit "daheim" (welch diffuser Begriff) und dem Rest der Welt, in dem man sich gerade nicht befindet, ist aufgrund der Wifi-Verfügbarkeit in immer mehr Hostels und Cafes sowieso kein Problem mehr. Dank Skype, Email und natürlich Facebook erreichen wir und werden erreichtt. Facebook fehlt, wenn ich auf die Rechner der anderen Hostelbewohner schiele, in fast keinem Reisegepäck. Wir bloggen, chatten, posten, up- & downloaden und basteln an unseren Homepages. Wir kommuniziern nicht nur mit "daheim". Wir spielen im doppelten Sinne global mit. Hier und dort. Wo immer das auch sein mag.
Schon einen Platz zum Schlafen? "Couchsurfing" oder "Hospitality Club", zwei internationale Online-Services, dessen Mitglieder die Website nutzen, um eine kostenlose Unterkunft auf Reisen zu finden, selbst eine Unterkunft oder auch anderes anzubieten, wie beispielsweise einem Reisenden die Stadt zu zeigen, stehen bereit. Wem das nicht zusagt, kann zumindest einen Blick auf "Hostelworld" und Konsorten werfen. Ob zur reinen Information, oder zur tatsächlichen Inanspruchnahme des Internetdienstes für Unterkünfte weltweit - das Bett liegt nur einen Mausklick weit entfernt. Wir suchen und buchen, recherchieren und transferieren. Kreditkarten hat ein jeder, und wer nicht, reist woanders als wir, hat einen Geldkoffer statt einen Rucksack oder nicht mehr alle Tassen im Backgepacktem. Plastic Cash Rules Everything Around Us? Jedenfalls im Netz und sogar in immer mehr Drittweltländern. Der schnöde Mammon schnarcht währendessen auf den beheimateten Konten mit vorzugsweise hohem Zinssatz und wird bei Verlangen nach Barem aus einem an jeder Ecke stationiertem Geldautomaten gezogen. Scheiße, wie schnell hat sich alles verändert!
Und was soll der ganze Irrsinn? Er erlaubt uns in gewisser Weise "unterwegs" zu leben und den Alltag neu zu definieren - für sehr lange Zeit. Wunderbar!

ps. ja, der Text ist keineswegs eine streng wissenschaftliche Publikation; ja, natürlich bin ich mir über die einhergehenden, negativen Konsequenzen dieses Wandels bewußt (deswegen habe ich ja auch einleitend erwähnt die positiven Konsequenzen zu beschreiben!); ja, meine Argumente sind nicht vollständig, weil die Thematik a priori keine Vollständigkeit erlaubt und ich mich dieser auch nicht verpflichtet fühle - nimm's als Exzerpt; ja, natürlich darfst auch Du gerne Deine Sichtweise als Kommentar hinzufügen. Danke.

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Kommentare: 2
  • #1

    Alissa Kohlwams (Montag, 03 Mai 2010 11:49)

    Ich finde deine Ausführungen zum Thema Backpacking wirklich spannend. Ich denke dass sich das backpacking definitiv in eine Art Mainstream-Richtung entwickelt hat. Ehemals sehr exotische und weit entfernte Länder sind so gut erschlossen, dass man von einem "Abenteuer" wie es das einmal war kaum noch sprechen kann. Für viele Menschen ist es tatsächlich einfacher aus dem Job auszustigen.
    Mittlerweile habe ich sogar das Gefühl, dass jeder mal irgendwann eine ganz "freakige" Reise gemacht haben muss, am besten über Monate und am allerbesten nur mit einem Rucksack.
    Vor 30 oder 40 jahren war es sicherlich noch ganz anders von Deutschland nach zum beispiel Indien zu gelangen. Flüge waren unerschwinglich und mit dem Auto musste man durch dutzende Länder, die teilweise fragliche Sicherheitslagen vorwiesen.
    War man angekommen musste man sehen wie man zurecht kam. Infrastruktur? Von wegen! Geldautomaten? Banken? In der Hauptstadt vielleicht!

    Heute ist es also wirklich einfacher, günstiger, bequemer und definitiv sicherer in der Welt herumzureisen. Aber ist das auch noch so spannend? Wenn man nur kurz sucht, findet man zu jedem Ort schon Reiseberichte und Reiseführer, bei denen alles schon beschrieben ist. Man ist vielleicht einfach weniger besonders. Schlimm ist das vielleicht nur für die Eitlen.

    Gruß

    Alissa

  • #2

    Frederik (Montag, 08 November 2010 01:40)

    Ich fliege Mittwoch nach Indien. Danke für die Informationen! Frederik